Gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die daraus folgenden Verwerfungen am Energiemarkt bestimmten im Jahr 2022 die globale Wirtschaftsentwicklung. Im Laufe des Kalenderjahres 2022 verzeichnete die globale Wirtschaftsleistung nach den Schätzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein Wachstum von 3,2 % (Vorjahr: + 5,6 %). Der russische Krieg führte zu drastischen Preisanstiegen am Energiemarkt, die wiederrum einen sprunghaften Anstieg der Inflationsrate auslösten. Die Lohnerhöhungen blieben hingegen deutlich hinter der Inflationsrate zurück. Trotz der anhaltenden Gegenmaßnamen der Regierung konnten Reallohnverluste nicht kompensiert werden. Zudem verschärfte sich das globale Finanzierungsumfeld mit den schrittweisen Leitzinserhöhungen der Zentralbanken. In der Eurozone ist die konjunkturelle Entwicklung ebenfalls durch den russischen Angriffskrieg geprägt. Nach Angaben der EU wird ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im Euroraum von 3,5 % für 2022 erwartet (Vorjahr: + 5,4 %). Maßgeblich für die positive Wachstumsdynamik im Jahresverlauf trotz der schwierigen Rahmenbedingungen waren Einsparungen beim Gasverbrauch, höhere Füllstände der Gasspeicher, ein deutlicher Preisrückgang der Großhandelspreise für Gas zum Jahresende und eine breiter aufgestellte Energieversorgung. Der robuste EU-Arbeitsmarkt unterstützte die Konjunktur zusätzlich. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt wächst nach vorläufiger Schätzung des Statistischen Bundesamtes im Berichtszeitraum um 1,8 % (Vorjahr + 2,6 %).
Energierechtliche Rahmenbedingungen
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit einhergehenden gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen standen im Jahr 2022 neben den Themen Klimaschutz und Lagebericht Energiewende in Deutschland ganz oben auf der politischen Agenda. Diese Themen werden in einer Reihe von Änderungen an Gesetzen und Verordnungen im Energiebereich adressiert:
Der Bundestag hat im Juli 2022 das sogenannte Osterpaket, eine der größten energiepolitischen Gesetzänderungen der letzten Dekaden, zum beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung beschlossen. Das Paket beinhaltet wesentliche Änderungen für das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und das Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG). Als Ziel hat der Gesetzgeber definiert, dass der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch im Jahr 2030 bei 80 % statt der bisher geltenden 50 % liegen soll. Zur Zielerreichung werden die Ausschreibungsmengen im Bereich der erneuerbaren Energien deutlich angehoben und die EEG-Umlage Mitte 2022 abgeschafft. Insbesondere die Stromerzeugung aus Solarenergie soll bis zum Jahr 2030 auf über 200 GW verdoppelt werden. Entbürokratisierte Rahmenbedingungen in Form von vereinfachten Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen hierbei unterstützend wirken.
Für eine erfolgreiche Energiewende ist eine klimaneutrale Wärmeversorgung fundamental. Die EU-Kommission hat im August 2022 ihre Zustimmung für die Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW) gegeben, die Mitte September 2022 in Kraft getreten ist und als ein wichtigstes Werkzeug für den Ausbau treibhausgasneutraler Fernwärmenetze dient. Im aktuellen (Stand April 2023) Gesetzesentwurf zum Gebäude-Energie-Gesetz (GEG), der für neue Heizungen ab 2024 einen regenerativen Energieanteil von mindestens 65 % vorsieht, ist die zentrale Rolle von Fernwärme als Erfüllungsoption der zukünftig klimaneutralen Wärmeversorgung absehbar. Gerade in Ballungsgebieten unterstützt die Bundesförderung Kommunen in Form von Zuschüssen beim Aufbau von Nahwärmenetzen in Neubaugebieten als auch beim Umbau von Bestandsnetzen bei entsprechend hohen Anteilen an erneuerbaren Energien. Neben den Investitionsanreizen soll die BEW die Betriebskosten fördern, wenn Wärmemengen aus Solarthermieanlagen oder strombetriebenen Wärmepumpen in die Wärmenetze eingespeist werden. Im Frühjahr 2023 soll ein entsprechendes Bundesgesetz in Kraft treten.
Im Oktober 2022 haben die EU-Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament beschlossen, ab 2035 in Europa nur noch klimaneutrale Fahrzeuge zuzulassen. Diese Grundsatzentscheidung soll den Wechsel zu einem E-Fahrzeug fördern und damit den notwendigen Ausbau der Elektromobilität-Ladeinfrastruktur vorantreiben. Die Bundesregierung unterstützt die Umsetzung der E-Mobilität in Deutschland mit dem im Oktober 2022 verabschiedeten Masterplan Ladeinfrastruktur II. Darin sind 68 Einzelmaßnahmen definiert, die den zukünftigen Weg zur Dekarbonisierung des Straßenverkehrs vorgeben, um Deutschland als Leitmarkt der E-Mobilität zu etablieren. Der Bund will den Ausbau auf eine Million öffentlich zugängliche Ladepunkte bis 2030 mit 6,3 Mrd. € fördern. Neben den Ausbauzielen sollen die Maßnahmen des Masterplans Versorgungslücken identifizieren, Prozesse digitalisieren, den Ladevorgang vereinfachen und die Privatwirtschaft in den Ausbauprozess einbinden.
Mit einem Gesetzentwurf zur Novellierung des Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG) hat die Bundesregierung ein zusätzliches Element zur Beschleunigung der Energiewende auf den Weg gebracht, um insbesondere den Rollout von Smart Energy-Metern zu intensivieren. Aufgrund von technischen und regulatorischen Hindernissen kommt der bisherige Ausbauplan nur mühsam voran. Der Neustart des Rollouts intelligenter Messsysteme sieht als zentrales Ziel vor, dass bis zum Jahr 2032 jeder Zähler intelligent oder zumindest mit einer digitalen Schnittstelle ausgerüstet sein muss. Zusätzlich sollen Prozesse rund um den Rollout hinsichtlich Datenschutz und -kommunikation reformiert und rechtssicher an die neuen Herausforderungen angepasst werden. Das Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende befindet sich im Gesetzgebungsverfahren und wurde zum Stichtag der Berichtserstellung noch nicht verabschiedet.
Mitte Dezember 2022 hat der Bundestag das Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz (EWPBG) sowie das Strompreisbremsengesetz (StromPBG) verabschiedet. Die sogenannte Strom-und Gaspreisbremse trat zum 01.03.2023 in Kraft und läuft bis zum 30.04.2024. Die Preisbremsen gelten rückwirkend zum Jahresbeginn 2023, sodass auch die Monate Januar und Februar entlastet werden. Die Preisbremse für Strom beinhaltet eine Preisobergrenze von 40 Cent/kWh für 80 % des prognostizierten Jahresverbrauchs. Begünstigt sind hiervon private Verbraucher und mittelständische Unternehmen mit einem jährlichen Stromverbrauch bis zu 30.000 kWh. Bei Gas liegt der gedeckelte Bruttopreis bei 12 Cent/kWh für Kunden unter 1,5 Mio. kWh Jahresverbrauch. Fernwärmekunden werden bei der identischen Verbrauchsschwelle wie bei Gas ab einem Bruttopreis von 9,5 Cent/kWh entlastet. Für Gas und Fernwärme greifen ebenfalls die Verbrauchsgrenzen von 80 % des geschätzten Jahresverbrauchs.
Für die verbleibenden 20 % des Verbrauchs wird jeweils der vertraglich fixierte Bezugspreis herangezogen. Der angesetzte Jahresverbrauchswert basiert auf einer Prognose des Verteilnetzbetreibers. Industriekunden mit einem Verbrauch von mehr als 1,5 Mio. kWh zahlen für 70 % ihres Energiebezugs 7 Cent/kWh bei Gas und 7,5 Cent/kWh bei Fernwärme. Für Strom zahlen Industriekunden für 70 % des Vorjahresverbrauchs 13 Cent/kWh. Der Abwicklungsprozess ist Aufgabe der Energielieferanten, die ihre Liquidität über
Vorauszahlungsansprüche gegenüber der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) im Gas bzw. gegenüber dem jeweiligen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) im Strom sicherstellen können. Um die Entlastungen der Verbraucher zu finanzieren sieht das StromPBG für den Zeitraum vom 01.12.2022 bis zum 30.06.2023 die Abschöpfung von Überschusserlösen vor, die aus erneuerbaren Energien, Braunkohle, Kernenergie, Abfall und Mineralöl erwirtschaftet werden. Diese Übererlöse werden über die Verteilnetzbetreiber in Zusammenarbeit mit der Bundesnetzagentur (BNetzA) abgeschöpft.
Energiemarkt
In Deutschland verminderte sich der Primärenergieverbrauch nach vorläufigen Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB) um 4,7 % (Vorjahr: + 2,6 %). Als Gründe für den Verbrauchsrückgang sind Einsparungen aufgrund des hohen Preisniveaus am Energiemarkt sowie Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen als auch preisbedingte Produktionsrückgänge zu nennen. Zusätzlich wirkten sich wärmere Außentemperaturen im Vergleich zum Vorjahr verbrauchsmindernd aus.
Der deutsche Strommarkt war im Jahr 2022 maßgeblich durch den Krieg in der Ukraine und die Auswirkungen auf die gesamt- und energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt. Insgesamt lag der Stromverbrauch in Deutschland im Jahr 2022 nach Angaben des BDEW um rd. 3,1 % unter dem Wert des Vorjahreszeitraums (Vorjahr: + 3,2 %). Als Hauptursachen für den Rückgang im Jahr 2022 sind mildere Temperaturen sowie Nachfragerückgange infolge des Konjunkturabschwunges zu nennen.
Auch der deutsche Gasmarkt ist durch den Krieg in der Ukraine stark beeinflusst worden und zusätzlich noch durch die Auswirkungen der „Klimagesetzgebung“. Der Erdgasverbrauch in Deutschland nahm im Jahr 2022 nach BDEW-Angaben gegenüber 2021 insgesamt um rd. 14,8 % ab (Vorjahr: + 5,3 %). Der rückläufige Verbrauch ist auf die Preisentwicklung für Erdgas und die vergleichsweise milderen Außentemperaturen zurückzuführen.
Die Marktchancen für Contracting-Dienstleistungen gewinnen im Zuge des ökologischen Umbaus der Energieerzeugung deutschlandweit immer mehr an Bedeutung. Bei rd. 22 % der im Berichtsjahr zum Bau genehmigten Wohnungen ist ein Fernwärmeanschluss vorgesehen, was das immense Potential deutlich macht.
Nach vorläufigen Prognosedaten des BDEW ist der Wasserverbrauch deutschlandweit um rd. 0,1 % (Vorjahr: + 2,3 %) gegenüber dem Vorjahr rückläufig.
Entwicklung der Energiepreise
2022 lagen die Energiepreise deutlich über dem Niveau des Vorjahres. Der durchschnittliche Ölpreis für ein Barrel der Sorte Brent Frontjahr lag 2022 mit 87,19 US-$ mehr als 30 % über dem Vorjahreswert. Die Erdgaspreise notierten im Jahr 2022 im Mittel für das Frontjahrprodukt im Marktgebiet Trading Hub Europe (THE) mit 114,21 €/MWh um ca. 240 % über der Vorperiode. Die rückläufigen Gasexporte aus Russland bis hin zum Versorgungsstopp sorgten für einen enormen Preisanstieg im Jahresverlauf. Beim durchschnittlichen Strompreis zeigte sich im Jahr 2022, insbesondere zur Jahresmitte, nochmals ein massiver Preisanstieg, der im Mittelwert deutlich über dem Niveau der Vorjahre liegt. Die abflauende COVID-19-Pandemie bewirkte einen konjunkturellen Aufschwung, der einen nachfragebedingten Preisanstieg bei Brennstoffen auslöste. Auf der Angebotsseite führten hingegen die ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland zu einer Energie-Verknappung. Die unsichere geopolitische Lage verstärkte die zuvor genannten Effekte weiter und mündete in starken Preisübertreibungen. Für das Terminprodukt Base mit Lieferung im Folgejahr ist der Preis um rd. 238 % auf 298,36 €/MWh gestiegen.